Sinn statt Geld?

von Philipp Riederle

Nach welchen Kriterien wählt die Digitale Generation ihren Beruf? Die Millennials scheinen hier andere Prioritäten zu setzen. Welche Rolle spielt die Bezahlung? Und welche Sinnhaftigkeit und Wertschätzung? Und wieso sollten sich Unternehmen überhaupt darüber Gedanken machen? Mit der Fair-Fashion-Unternehmerin Lisa Jaspers sprechen wir über Ihre Erfahrungen das ideale Arbeitsumfeld zu schaffen. Wie Du uns als Mensch und nicht nur als Arbeitskraft gewinnst, erfährst Du in dieser Folge.

Inhalt der Folge

Relevanz

Die junge Generation hat Macht auf dem Arbeitsmarkt! Das führt dazu, dass sich auch traditionelle Arbeitgeber und Unternehmen damit auseinandersetzen müssen, was den jungen Leuten wichtig ist, denn die sind schon jetzt und auch in Zukunft ihre Mitarbeiter.

Der demografische Wandel ist unverkennbar: Heute kommen nur noch halb so viele Kinder zur Welt wie noch 1960. Schon jetzt leidet die Wirtschaft unter einem Fachkräftemangel, der durch den anstehenden Renteneintritt der Babyboomer noch verstärkt wird. Das bedeutet, dass Unternehmen, die sich nicht auf unsere Bedürfnisse einstellen, in ein paar Jahren alleine dastehen werden. Die Anzeichen sind in vielen Unternehmen schon sichtbar: Im vergangenen Ausbildungsjahr blieben in Deutschland über 50.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Damit ist fast jedes zweite Unternehmen betroffen. Außerdem sind 2020 über 1 Million offene Stellen gemeldet.

Was die digitale Generation im Arbeitsleben sucht

Natürlich sind nicht alle Angehörigen der digitalen Generation gleich. Der Begriff „Generation“ ist ein Hilfskonstrukt, um gesellschaftliche Trends und Tendenzen zu beschreiben, die im Durchschnitt für viele Menschen einer Alterskohorte gelten.

Auch die digitale Generation kann in einzelne Teilgruppen unterteilt werden, die als Milieus bezeichnet werden. Ein Milieu ist nicht nur davon bestimmt, welchen Charakter und welche Werte jemand hat, sondern insbesondere dadurch, wie man sozialisiert und erzogen wurde, sowie in welcher sozialen Schicht, mit welchem Vermögen man aufgewachsen ist.

Mehr als Geld, Status und Macht

Eine Studie des Zukunftsinstituts hat die Lebensziele der jungen Generation erhoben. Am wichtigsten sind für sie

Selbstbestimmung, Lebensfreude, ein sinnvoller Job.

Traditionelle Ziele wie eine erfolgreiche Karriere oder sich viel leisten zu können sind da weniger wichtig. Die jungen Menschen sind nicht bereit, ihr Gehalt als Schmerzensgeld für den Büroalltag zu sehen.

Sinn statt Gehalt

Diese Entwicklung lässt sich anhand der maslowschen Bedürfnispyramide erklären. Die junge Generation ist in Wohlstand und Frieden aufgewachsen. Ihre Grund- und Sicherheitsbedürfnisse sind weitestgehend gedeckt und somit für sie weniger relevant. Aus diesem Grund rücken bei ihnen eher soziale, individuelle oder kulturelle Bedürfnisse in den Vordergrund. Das belegt auch eine Studie des Weltwirtschaftsforums von 2017, die mit 32.000 18–30-Jährigen in 186 Ländern durch geführt wurde. Im weltweiten Durchschnitt ist das Thema Gehalt nach wie vor auf Platz 1. Erst danach kommt die Sinnhaftigkeit. Sieht man sich aber die jungen Menschen in Westeuropa an, ist das anders. Die digitale Generation dort ist weitestgehend in Wohlstand aufgewachsen, und die Transformation zur postmateriellen Gesellschaft ist in vollem Gange. In diesen Ländern rangiert das Gehalt nur auf Platz 3. Auf den Plätzen 1 und 2 finden sich die Sinnhaftigkeit und die Work-Life-Balance. Das Thema Gehalt ist also nach wie vor nicht ganz unwichtig, eine faire Bezahlung ist für die junge Generation aber selbstverständlich. Die Sinnhaftigkeit und die Work-Life-Balance geben den Ausschlag bei der Entscheidung für – oder auch gegen – ein Jobangebot.

Das wird auch von einer Studie von LinkedIn untermauert. Dort wurden 3000 US-Arbeitnehmer zur Kultur am Arbeitsplatz befragt, und ob sie ein alternatives Jobangebot mit weniger Gehalt, aber ansprechenderer Mission und Werten zum Arbeitsplatzwechsel bewegen würde. 86% der Millennials gaben an, in diesem Fall den Job wechseln zu wollen, jedoch nur 9% der Babyboomer.

Was genau ist diese Sinnhaftigkeit oder Purpose?

Auch für Angehörige der digitalen Generation gilt: Sie kommen wegen des Unternehmens und gehen wegen ihres direkten Chefs. Die Verantwortung, die eine direkte Führungskraft trägt, kann gar nicht oft genug betont werden. Sie macht die Unternehmenswahrnehmung aus. Außerdem lebt ein Team die Unternehmenskultur nur dann, wenn sie auch vom Chef vorgelebt wird.

Relevanz und Teilnahme

Allgemein betrachtet wollen alle Teil eines großen Ganzen sein und ihre Position kennen. Jeder möchte erkennen, inwiefern die eigene Arbeit zur Unternehmensstrategie oder zum Unternehmensziel beiträgt. Es ist eine besondere Form der Anerkennung, dass man sich in dem Bereich, wo man kompetent ist, einbringen kann und mitbestimmen darf.

Selbstverwirklichung

Den jungen Menschen ist es wichtig, sich selbst zu verwirklichen, also Fortschritte zu machen und dazu zu lernen. Außerdem brauchen sie ein adäquates Arbeitsumfeld, um ihre Aufgaben mit möglichst wenig Reibungsverlust ausführen können. Von der digitalen Generation wird häufig erwartet, dass sie an der Zukunft des Unternehmens mitarbeitet. Allerdings ist dies nur möglich, wenn sie nicht mit den Methoden des vergangenen Jahrhunderts arbeiten muss.

Wertschätzung und Lob

Ein weiteres Thema, das der Generation der Millennials am Herzen liegt, ist die Wertschätzung, auch durch den Chef. Oft werden sie spöttisch als „Generation Teilnehmerurkunde“ bezeichnet, weil sie in der Kindheit von ihren Eltern – oftmals „Helikoptereltern“ – für alles gelobt wurden. Deshalb wollen sie auch heute noch Lob bekommen. Dazu gehört aber auch ganz klar der Wunsch nach konstruktiver Kritik und Feedback, denn nur das führt zum Lernen und zur angestrebten Selbstverwirklichung.

Wie der Purpose für Unternehmen genau aussieht, ist kaum in knapper Form zu definieren, denn es ist ein sehr weitreichender Begriff. Was die jungen Generationen genau wollen, ist die Essenz aller dieser Blogbeiträge und Podcasts. Die Sinnhaftigkeit ist vielschichtig, es gibt keine einzelne Maßnahme, die eine Sinnhaftigkeit zu schaffen.

Best-Practice: Gespräch mit Lisa Jaspers

Wir haben mit Lisa Jaspers gesprochen. Sie ist Co-Autorin des Buchs Starting a Revolution, das sie gemeinsam mit Naomi Ryland geschrieben hat, die hier schon einmal zum Thema Diversity zu Gast war. Lisa Jaspers hat das Fair-Fashion-Modelabel „FOLKDAYS“ gegründet. Dafür hat sie ihren sicheren Job aufgegeben. Sie erzählt uns, wie schwierig es ist, als Chefin immer diesen Purpose zu vermitteln.

Philipp Riederle: Deine Karriere klingt wie aus dem Bilderbuch, FU Berlin, LSE London, Oxfam und Beratung. Was hat dir dabei gefehlt, sodass du das alles aufs Spiel gesetzt hast, um ein Unternehmen zu gründen?

Lisa Jaspers: Von außen scheint das alles perfekt, und es ist auch das, was mich interessiert und inhaltlich Sinn macht. Lange Zeit dachte ich, dass mit mir etwas nicht stimmt, denn ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mein Leben und meinen Job liebe. Dann habe ich alles aufgegeben und gegründet. Ich wollte den Versuch wagen, zu sehen, wie es ist, wenn alles so ist, wie ich mir das vorstelle.

Philipp Riederle: Woran lag das? War es Geld oder waren es Aufstiegschancen?

Lisa Jaspers: Das hatte alles nichts damit zu tun. Finanziell ging es mir vor der Gründung besser, denn es ist schwierig, durch eine Gründung einen wirklichen Goldesel zu finden. Aber ich war noch nie so glücklich und erfüllt durch meine Arbeit wie jetzt. Deshalb denke ich auch keine Sekunde darüber nach, ob ein anderer Weg besser gewesen wäre.

Philipp Riederle: Sehen das deine Mitarbeiter auch so? Finden sie auch diese Erfüllung bei der Arbeit?

Lisa Jaspers: Dahin war es eine Reise. Als ich als Unternehmerin angefangen habe, habe ich mir natürlich vorgenommen, eine tolle Chefin zu sein, die wertschätzend ist und einen Arbeitsplatz schafft, wo jeder gerne hingeht. Nach ca. zweieinhalb Jahren habe ich aber gemerkt, dass ich darin nicht so erfolgreich war. Durch einen Konflikt mit einer Mitarbeiterin habe ich einen Feedbackprozess im Unternehmen gestartet. Durch diesen ist mir klar geworden, dass ich vieles von dem, was ich an meinen Chefs nicht mochte, doch reproduziert habe. Beispielsweise Druck auszuüben und professionelle Distanz.

Philipp Riederle: Wie ging es dir damit, das herauszufinden, und wie bist du damit umgegangen?

Lisa Jaspers: Diese Erkenntnis war sehr schmerzhaft, aber auch sehr wichtig. Es hat dazu geführt, dass ich das Feedback vertieft habe. Außerdem habe ich mir einen Coach gesucht und mit einer Therapeutin gearbeitet. So habe ich mich mit vielen Themen beschäftigt, die mich in Situationen unsicher gemacht haben oder habe gelernt, Fehler zu machen, ohne Angst zu haben. Ich hatte so die Chance, mich selber besser kennenzulernen, meine Stärken und Schwächen zu erkennen und so einen aufgeklärteren Blick auf die eigenen Verhaltensmuster und Reaktionen zu bekommen, sodass ich diese ändern konnte.

Dieser Prozess war sehr wichtig, um dahin zu kommen, dass auch meine Mitarbeiter gerne in die Arbeit kommen.

Philipp Riederle: Wie erklärst du es dir selbst, dass es passieren konnte, dass du diese negativen Muster reproduziert hast?

Lisa Jaspers: Ich glaube, dass wir selber nichts anderes lernen. Wir haben keine anderen Rollenvorbilder von Menschen, die das anders gemacht haben. Wir wissen nur, wie unsere Chefs es getan haben. Es gibt sehr wenig Diversität in Führungsvorbildern und Führungsstilen. Meiner Meinung nach ist das ein großes Problem. Ich habe zwar manchmal gemerkt, dass ich etwas nicht gut mache, aber wusste auch nicht, wie ich es anders machen kann. Das wird auch in unserem Buch thematisiert: Wie kann man es genau dann anders machen? Wir wollten beispielsweise Techniken und Möglichkeiten schaffen, um etwas anders zu machen. Das hat mir auch geholfen, mich als Chefin zu reflektieren und neue Wege zu gehen.

Philipp Riederle: Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die digitale Generation, um diese Revolution voranzutreiben?

Lisa Jaspers: Ich habe vor Kurzem einen Vortrag gehalten, wo ein Teilnehmer aus einem großen deutschen Unternehmen sagte, dass er das alles nachvollziehen kann, er aber in einem großen Unternehmen mit Tausenden Mitarbeitern arbeitet. Er fragte, ob auch dort eine Umsetzung möglich ist. Meine Antwort darauf war, dass auch die großen Unternehmen keine Wahl haben, denn gerade die junge Generation wird sich nicht zufrieden geben mit dem, was frühere Generationen zufriedengestellt hat, beispielsweise Status und Aufstieg im Unternehmen. Das belegt auch viel Forschung zu diesen Themen. Wenn die großen Unternehmen es nicht schaffen, sich umzustellen und den Menschen als Ganzes zu betrachten, der sich weiterentwickeln kann, dann werden sie irgendwann den Leuten nicht mehr genug Geld zahlen können, um sie an sich zu binden.

Philipp Riederle: Wie kann man denn eine solche Kultur unternehmensweit etablieren und auch die Chefs mit ins Boot holen?

Lisa Jaspers: Ich glaube, dass es da nicht ein Rezept für alle Unternehmen gibt. Aber ein Faktor begünstigt das ganz sicher: eine Feedback-Kultur zu kreieren, wo regelmäßig Rückmeldung gegeben wird, wo sich Menschen als Menschen begegnen und mit ihren Mustern beschäftigen. Das kann aber nur von oben entschieden werden, und es erfordert Mut. Die Unternehmensführung muss sich im Klaren darüber sein, was das auslöst. Es ist mutig, weil die Chefs sagen müssen, dass sie sich für diesen Prozess öffnen und Rückmeldung der Mitarbeiter wollen, wie sie es verbessern können. Denn darüber sprechen, was man falsch macht als Chef, werden sie trotzdem, der Unterschied ist nur, ob es offen im Feedback geschieht oder hinter dem Rücken. Es wird immer Menschen geben, die nicht damit klarkommen, wenn man aber schafft, die Kritik anzunehmen, und dann merkt, wie das Feedback und die Kultur besser werden, ist das sehr lohnend.

Philipp Riederle: Was kann denn jeder Einzelne tun, um mehr Erfüllung und Wertschätzung im Job zu erfahren?

Lisa Jaspers: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass für mich der schwierigste Teil der Arbeit war, mich selber wertzuschätzen. Also stolz zu sein auf das, was ich geschafft habe, offen über meine Stärken sprechen zu können, ohne Angst zu haben, dass Schwächen eine große Rolle spielen. Ich glaube, dass man auch an seinen Kollegen etwas verändern kann, indem man wertschätzender ist und sie so spüren, wie schön sich das anfühlt, und das Gefühl dementsprechend weitergeben. Man kann auch eine eigene Feedback-Runde starten. Das kann auch in der Mittagspause stattfinden, wenn man nicht möchte, dass es alle mitbekommen.

Philipp Riederle: Angenommen, alle Manager setzen diese Revolution plötzlich um, heißt das dann nicht, dass jeder nur noch mit Danke sagen, Feedback und Schulterklopfen beschäftigt ist? Gibt es da noch Raum für das eigentliche Geschäft? Was sagen die harten Zahlen und Deadlines dazu?

Lisa Jaspers: Ich glaube nicht, dass es so zeitintensiv ist, wenn man es den vielen sonst unausgesprochenen Konflikten gegenüberstellt. Man kann klar sagen, dass wir auch große Schritte in Umsatz und monetärem Erfolg gemacht haben. Gerade starten wir eine Zusammenarbeit mit einem Fairtrade-Importeur, mit dem wir einen B-to-B-Bereich aufbauen. Dahin wären wir nie gekommen, würden wir nicht so funktionieren, wie wir es tun. Es hängt also auch unternehmerischer Erfolg davon ab.

Ich kann meine Leute zwar nicht so gut bezahlen, ihnen aber eine Umgebung bieten, wo sie gerne sind und Freiheiten haben. Das sieht und fühlt man dann an den unterschiedlichsten Stellen. Beispielsweise haben wir viele Initiativbewerbungen, weil sich das angenehme Arbeitsklima rumspricht. Unser Impact, der Grad und die Zufriedenheit sowie die Markenwahrnehmung sind auch der größte Key Performance-Indikator für uns. Da haben wir in den vergangenen Jahren viel geschaffen, vor allem seitdem wir unsere Werte auch mehr nach innen leben.

Konkrete Tipps für mehr Sinnhaftigkeit im Arbeitsleben:

  1. Bringe dich persönlich weiter! Wofür brennst du, wofür interessierst du dich von innen heraus? Welche Möglichkeiten hast du im aktuellen Job, dich bei diesen Themen voranzubringen? Nutze alle angebotenen Coachings, Mentorings und Schulungsangebote. Wenn so etwas noch nicht vorhanden ist, dann frage danach oder fordere es ein.
  2. Arbeite an neuen Herausforderungen, wenn du weiterwachsen möchtest! Suche dabei den direkten Draht zu deinen Kollegen und Chefs oder knüpfe auch Kontakt zu den anderen Abteilungen. Du kannst aber auch direkt ein neues Projekt vorschlagen, für das du persönlich brennst.
  3. Starte die Revolution! Denn gemeinsam mit deinen Kollegen kannst du beginnen, Wertschätzung und Feedback im Unternehmen zu leben.