Fortschritt durch Vielfalt

von Philipp Riederle

Diversity wird häufig als PR-Masche abgetan. Doch eine buntes Team verspricht innovativeres und erfolgreicheres Arbeiten – erwiesenermaßen! In dieser Ausgabe erfährst Du: Welch riesiges Potential Diversity hervorbringen kann, wieso es aktiver Aufmerksamkeit bedarf, welche Rolle Führungskräfte spielen. Und natürlich ganz konkret: wie dein Team diverser werden kann.

Inhalt der Folge

Relevanz von Diversity

Vielfalt als Innovationstreiber

Fehlende Diversity, also Vielfalt, Verschiedenartigkeit, mindert die Effektivität und den Profit von Unternehmen in der digitalen Welt. Diversity bei Führungskräften führt nachgewiesen zu einer höheren Innovationskraft. Das hat eine Studie der TU München herausgefunden, an der 171 Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz teilgenommen haben. Dieser Effekt ist besonders deutlich in komplexen Unternehmen mit hohem Innovationsbedarf, Unternehmen, die sich auf digitale Geschäftsmodelle vorbereiten oder bereits mit ihnen agieren. Vielfalt fördert die Kreativität durch die Vielzahl an Perspektiven und Hintergründen, die eingebracht werden.

Die Unternehmenskultur der Diversity legt ihren Fokus auf individuelle Stärken und Talente. So kann das Unternehmen vom eigenständigen Denken und Arbeiten der Mitarbeiter mit unterschiedlichen Perspektiven profitieren. Vielfältige Unternehmen haben nicht nur eine höhere Innovationskraft, sondern bringen auch die besseren und erfolgreicheren Produkte hervor.

Diversität der Kunden

Nicht alle Kunden sind alte, weiße Männer, warum sollten es also die Führungskräfte sein?

In Großbritannien werden zum Beispiel 80% der Konsumkäufe von Frauen getätigt. Und homosexuelle Haushalte beispielsweise haben ein überdurchschnittliches Einkommen und damit eine höhere Kaufkraft. Es kann also gewinnbringend sein, verschiedene Gruppen bei der Produktentwicklung mitwirken zu lassen oder idealerweise Mitarbeiter zu haben, die diese Gruppen repräsentieren und so ihre Perspektiven direkt einbringen können.

Zufriedenere Mitarbeiter

Unternehmen, die das Konzept der Diversity berücksichtigen, haben außerdem bessere Mitarbeiter und eine effektivere Unternehmenskultur. Denn mehr Vielfalt führt erwiesenermaßen zu erhöhter Arbeitnehmerzufriedenheit. Die Anerkennung ihrer Identität und Persönlichkeit führt dazu, dass sich Mitarbeiter stärker mit dem Unternehmen identifizieren können und sich enger an das Unternehmen binden. Dass Diversity auch auf das Employer Branding ausstrahlt, leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass besonders der digitalen Generation Diversity und ein „Safe space“ in der Arbeitswelt besonders wichtig sind. Als junge Menschen sind wir mit Rassismus-Debatten und Bewegungen wie #metoo aufgewachsen, sodass Diversity bei uns im täglichen Leben eine Rolle spielt. Die junge Generation möchte auch in Bezug auf das Work-Life Blending nicht ihre Persönlichkeit und Identität im Beruf abgeben, sondern will diese auch im Beruf ausleben.

Bessere Performance durch Vielfalt 

Dass Unternehmen, die Vielfalt berücksichtigen, besser abschneiden, beweist auch eine Studie von McKinsey, die 366 Unternehmen im Vereinigten Königreich, den USA und Brasilien untersucht hat. McKinsey hat darin festgestellt, dass es eine Korrelation zwischen Diversität in den Führungsschichten – hier als Gender und Ethnie verstanden – und Gewinn gibt. Laut der Studie haben Firmen, die im Bezug auf Gendervielfalt im oberen Viertel abschneiden, 15% häufiger Gewinne über dem Branchendurchschnitt. Firmen, die in Sachen Ethnienvielfalt im oberen Viertel abschneiden, haben 35% häufiger Gewinne über dem Branchendurchschnitt.

Aktiv um Vielfalt und Diversity bemühen!

Diversity in Unternehmen bedeutet, Mitarbeiter unterschiedlicher Profile oder Identitäten anzustellen. Dabei gibt es verschiedene Ebenen der Andersartigkeit: Gender, Alter, Ethnie, sexuelle Orientierung, Behinderung oder auch Religion sind einige Beispiele.

Gruppen sind nicht automatisch divers

Der Grund dafür liegt darin, dass es eine unterbewusste Tendenz gibt, einen Unconscious Bias, die dazu führt, dass wir alle unseresgleichen bevorzugen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Eine Abweichung vom Mainstream führt oft zu einer negativen Bewertung mit der häufigen Folge: geringere Sichtbarkeit in der Gruppe und schließlich langsam Ausschluss aus der entsprechenden Gruppe. So ist am Ende die Gruppe wieder homogen. Das aber hindert Innovation!

Das macht ein diverses Unternehmen aus 

Ein diverses Unternehmen hat nicht nur vielfältige Mitarbeiter mit unterschiedlichen Profilen, sondern es berücksichtigt alle Beteiligten mit ihren diversen Bedürfnissen. Das bedeutet vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten und Inklusion. Die Andersartigkeit von verschiedenen Gruppen ist jedoch nur dann ein Vorteil, wenn die Gruppen aufgrund ihrer Diversität keine Nachteile erleben. Wenn man also beispielsweise religiöse Diversity fördern möchte und muslimische Mitarbeiter im Unternehmen einstellt, dann sollten auch Gleitzeitmöglichkeiten für diejenigen geschaffen werden, die während des Ramadans lange wach sind.

Rolle von Führungskräften für vielfältige Unternehmen

Um diese Frage zu beantworten, habe ich Naomi Ryland befragt. Sie ist Mitgründerin des Karriereportals TBD, das Jobs mit Sinn vermittelt, und Co-Autorin des Buchs „Starting a Revolution – Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können“.

Philipp RiederleSollten wir unterrepräsentierte Gruppen überrepräsentieren, und bräuchten wir beispielsweise mehr junge Führungskräfte?

Naomi Ryland: Um ehrlich zu sein, spielt es keine Rolle, wie alt die Führungskraft ist. Es geht um ihre Kompetenz. Das scheint ganz logisch, doch wenn man die eigenen Erfahrungen oder eine Vielzahl an Studien betrachtet, wird klar, wie viele Führungskräfte schlecht bewertet und nicht immer kompetent sind.

Philipp Riederle: Was macht aus deiner Sicht einen guten Manager aus? Welche Kompetenzen sind vonnöten?

Naomi Ryland: Das sind nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern vor allem Führungskompetenzen. In der modernen, digitalisierten, schnelllebigen Führungswelt braucht man gewisse Skills, die nicht jeder Manager gleich mitbringt. Dazu zählen Offenheit, Empathie, die Fähigkeit, Feedback einzuholen und damit gut umzugehen, Fehler einzugestehen, das eigene Ego zurückstecken zu können, einzugestehen, dass man nicht immer alles wissen kann und auch nicht immer mehr als die eigenen Mitarbeiter kann.

Anstatt zu meinen, alles selber zu können, ist es sinnvoll, die Mitarbeiter zu ermutigen und zu bestärken, selber Entscheidungen zu treffen.

Philipp Riederle: Bringen bei Führungskräften unterschiedliche Gruppen von Menschen verschiedene Kompetenzen mit? Sollte man also beispielsweise die Geschlechter über die Führungskräfte gleich verteilen, oder sind Frauen vielleicht sogar grundsätzlich die besseren Führungskräfte?

Naomi Ryland: Es gibt viele Studien, die belegen, dass Frauen bei den meisten Führungskompetenzen besser abschneiden. Wenn man sich beispielsweise Kompetenzen wie Empathie und die Fähigkeit zuzuhören ansieht, sind das häufig feminine Kompetenzen. Das heißt aber nicht, dass Männer das nicht können. Doch wurden diese Fähigkeiten häufig aus der Arbeitswelt ausgeschlossen, beispielsweise der Umgang mit Emotionen wie Angst oder Schwäche und Verletzlichkeit. Wenn also nicht 50% der Führungskräfte Frauen sind, dann kann man davon ausgehen, dass die Führungskräfte nicht nach Kompetenzen, sondern durch lautes Auftreten und Vordrängeln ausgesucht wurden.

Philipp Riederle: Schwäche und Verletzlichkeit bei Führungskräften ist eine deutliche Revolution. Es bricht mit dem womöglich etwas angestaubten Bild des starken Anführers, von dem man erwartet hat, dass er alle Entscheidungen im Unternehmen trifft. Das aber funktioniert aufgrund der hohen Komplexität in einem innovativen Unternehmen gar nicht. Wie wichtig ist die Fähigkeit, die Mitarbeiter zur Selbstführung zu ermutigen?

Naomi Ryland: Das ist das A und O der Führung von heute. Es geht als Führungskraft nicht mehr darum, selber gut Entscheidungen treffen zu können, sondern die eigenen Mitarbeiter darin zu bestärken, Entscheidungen zu übernehmen. Das fördert schnelles und innovatives Agieren. Man muss aber den Mitarbeitern Mut machen und den Freiraum geben, Fehler zu machen. Dazu gehört auch, eine gesunde Feedbackkultur zu etablieren und Wertschätzung zu zeigen.

Philipp Riederle: Sind also Frauen vielleicht die besseren Führungskräfte, sodass nur noch sie eingestellt werden sollten, oder auch nur noch junge Menschen?

Naomi Ryland: Nein, es geht darum, möglichst diverse Teams zu haben, aus unterschiedlichen Altersgruppen und Geschlechtern, die möglichst viele unterschiedliche Perspektiven einbringen. Viele Studien beweisen, dass diverse Teams innovativer sind.

Die richtige Kultur für diverse Teams

  • Transparenter Teil der Business Strategy
    Zunächst geht es darum, das Potential von Diversity transparent zu machen, anstatt Ressentiments zu schüren.
    Diversity sollte ganz klar als Teil der Business Strategy verstanden werden. Damit einhergehend gibt es klare Ziele: beispielsweise Zufriedenheit von Minderheiten im Unternehmen zu verbessern oder Mentoren für potentielle weibliche Führungskräfte zu schaffen.
  • Quoten
    Quoten sind oft nur die Ultima Ratio. Es reicht normalerweise aus, sich am Verhältnis zu orientieren, wie stark eine Gruppe im Unternehmen repräsentiert ist und wie stark diese Gruppe auch tatsächlich in der Gesellschaft vertreten ist.
  • Individueller Weg
    Die genannten Beispiele sind nur als solche zu verstehen! Denn die genannte McKinsey-Studie zeigt auch, dass kein Programm allen Benachteiligten gleichermaßen hilft. Es gilt also „one size fits none“. Je nach Industriezweig, Abteilung, Gruppe und Unternehmenskultur müssen unterschiedliche Initiativen genutzt werden – idealerweise direkt aus den Bedürfnissen des Unternehmens heraus entwickelt.
  • Digitale Unterstützung
    Digitale Tools können dabei unterstützen, den Unconscious Bias zu beseitigen. Es gibt einen rasant wachsenden Markt, der auch von Protestbewegungen wie #blacklivesmatter oder #metoo befeuert wird. Es gibt vielfältige digitale Anwendungen, die Diversity unterstützen, beispielsweise Jobportale für strukturell Benachteiligte wie Advancing women. Es gibt Analytics Software, beispielsweise Sameworks, die Lohngerechtigkeit analysiert. Außerdem kann Software wie Equal Reality sexuelle Belästigung und Aggression selbst erlebbar machen und so gegenteiliges Verhalten trainieren und fördern. Es gibt auch Evaluations-Software Slack Chatbots, wie Allie, für anonymes Feedback und Beschwerden von Mitarbeitern.

Wie kann jeder Einzelne konkret Vielfalt fördern?

  1. Fange bei Dir selber an! Reflektiere dein eigenes Verhalten und die eigenen Erfahrungen und bemerke dabei deinen persönlichen Bias. Es ist schlichtweg unmöglich, keine Farben oder Geschlechter zu sehen, doch sollte man sich eingestehen und hinterfragen, in welche Schubladen man die Feststellungen steckt, und wenn nötig, aktiv gegenwirken.
  2. Suche diverse Kontakte! Wenn Dir auffällt, dass die Leute, mit denen Du regelmäßig im Kontakt stehst, alle gleich sind: Suche  Kontakt zu Kollegen, Mitmenschen oder Freunden, die anders sind und trete mit ihnen in Dialog. Das wird Dich garantiert auf neue Ideen bringen! Auf Organisationsebene kann das beispielsweise durch Buddy-Programme oder Blind Dates gefördert werden.
  3. Lead by Example! Sei ein Vorbild, wie man Menschen unterschiedlicher Gruppen gegenübertritt. Lebe deine persönliche Identität und teile sie mit deinen Kollegen. Als Münchner kann man zum Beispiel Brezeln mitbringen, Gehörlose können Workshops zum Thema Gebärdensprache anbieten, oder Homosexuelle eine Regenbogenflagge während des Pride Month aufhängen.
  4. Als Grundsatz gilt: Sprich über deine Identität und spreche auch Ungleichheiten oder mangelnde Vielfalt gleich an. Lobe aber auch Erfolge und Fortschritte. Motiviere außerdem deine Kollegen, weiter zu machen, sodass am Ende das Thema Diversity und Vielfalt des Teams jeden Tag aufs Neue gelebt wird.