Israel – Besuch in der Start-Up Nation

von Philipp Riederle

In keinem anderen Land der Welt herrscht eine höhere Dichte an Start-Up Unternehmen, nirgendwo sonst wird mehr Venture Capital pro Kopf investiert und nirgendwo anders ist der Anteil für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt höher. Israel beeindruckt mit seiner Innovationskraft und Geschwindigkeit. Ich habe mich gefragt: Was können wir Deutschen von der jungen Start-Up Nation lernen?

Flughafen Zürich. Etwas mulmig ist mir schon, man hört ja so allerlei vom Nahostkonflikt, dem Gazastreifen und Raketenangriffen. Ich fliege mit der israelischen Fluggesellschaft El Al. Während das Flugzeug, von Polizeipanzern bewacht, zum Gate rollt, werde ich rund eine Stunde von geheimdienstlich geschultem Sicherheitspersonal befragt. Es ist meine erste Reise ins „heilige Land“, dessen Bild in Deutschland vor allem durch die geopolitischen Konflikte geprägt ist, wie uns später auch ein Vertreter der deutschen Botschaft bestätigen wird.

Ein paar Stunden später. Das flaue Bauchgefühl? Wie vergessen. Ein erster Spaziergang über den Rothschild Boulevard, zum kilometerlangen Strand, durch das Jahrtausende alte Jaffa – schon hat mich Tel Aviv in seinen Bann gezogen. Eine besondere Stimmung ist in dieser Stadt zu spüren. Hier stehen Synagogen neben Moscheen, vollverglaste Bürotürme neben Bauhaus Denkmälern, ultraorthodoxe Juden neben angesagtem Nachtleben. Der öffentliche Nahverkehr befindet sich im Aufbau, in der Zwischenzeit rasen Pendler und Touristen mit elektrischen Klapprädern und Tretrollern in einem Affenzahn durch die Gassen. Die Geschwindigkeit könnte fast sinnbildlich für das ganze Land stehen: Seit der Staatengründung im Jahr 1948, vor rund 70 Jahren, verzehnfachte sich die Bevölkerung Israels auf knapp 9.000.000 Einwohner. Dementsprechend jung ist auch das Durchschnittsalter bei rund 30 Jahren, die Bevölkerungspyramide darf sich hier tatsächlich noch so nennen. Mit einem ähnlichen Tempo kommen die Israelis zur Sache, das ist meinen ersten Begegnungen und Terminen direkt zu merken: Wie können wir zusammenarbeiten? Was sind die ersten Schritte? Wann fangen wir an? Kurz darauf bereits die ersten Mails in meinem Postfach. Ein paar Stunden später Anrufe, ob die Nachrichten denn angekommen seien. Ich hätte ja noch nicht geantwortet.

Anpacken, loslegen

Diese Mentalität des Anpackens ist zentraler Bestandteil der israelischen „Entrepreneurial Culture“. Der Umgang im Businesskontext ist informell, Anzüge und Krawatten werden höchstens zur Hochzeit getragen, die Kommunikation unverblümt. „Dein Produkt ist schlecht“ wird selten als persönlicher Affront verstanden, sondern dankbar als konstruktives Feedback aufgenommen. Die oft von uns angestrebte Fehlerkultur ist hier gelebte Realität, gescheiterte Vorhaben werden als Erfahrungen hoch geschätzt. Die Menschen untereinander sind extrem gut vernetzt, jeder ist mit jedem „friends“. Täglich werden diese Kontakte genutzt, um sich gegenseitig zu unterstützen und die (Geschäfts-)Ideen voranzubringen. Interessanterweise auch, nachdem die ersten Erfolge eingefahren sind. Anderenorts werden dann ja gerne die Ellenbogen ausgepackt.

Während die Founder, CEOs und Engineers von ihren Start-Ups erzählen, wird deutlich, mit welche hoher technischen Expertise sie ihre Gründungen betreiben. Cybersecurity, Blockchain, Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Agritech, Digital Health sind die angesagten Themen. Etliche Innovationen daraus haben es bereits in den globalen Alltag geschafft: Der USB-Stick, die Kameraassistenzsysteme in fast jedem produziertem Auto (Mobileeye) oder die Sicherheitssoftware, mit der fast jeder Deutsche DAX-Konzerne arbeitet (Check Point).

Für die Start-Ups gibt es praktisch keinen lokalen Markt, das Absatzpotential im eigenen, kleinen Land ist begrenzt und die Grenzen zu den direkten Nachbarländern geschlossen. So werden Produkte und Geschäftsmodelle von Beginn an für einen globalen Markt konzipiert. Das macht Israel gerade auch für global agierende Unternehmen interessant: Über 300 multinationale Konzerne betreiben Standorte in Israel, darunter 9 der 10 wertvollsten Unternehmen der Welt. Microsoft, Google, Apple, Intel, SAP, Cisco, Huawei, Novartis… alle sind sie da. Auf der Suche nach den klügsten Köpfen und vielversprechendsten Innovationen. Doch woher kommt der hohe technische Sachverstand und die Innovationsfähigkeit?

Nahezu alle Gründer, die wir während unserer Reise kennenlernen, haben ihren Wehrdienst bei der Eliteeinheit „Unit 8200“ verbracht. Ist diese Prägung eine der Erfolgsgehemnisse israelischer Gründer? In den Gesprächen wird uns bestätigt: „Ja, unter anderem.“ Die Einheit gilt als eine der technisch versiertesten Nachrichtendienste der Welt. Zutritt haben nur die „besten 1%“ eines Jahrgangs, die mit „perfektionierten Screeningmethoden“ ermittelt werden. Aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht kämen so hellsten Köpfe des Landes zusammen. 2 Jahre für Frauen, 3 Jahre für Männer dauert der verpflichtende Dienst. Um schnell einsatzfähig zu sein, werden die Anwärter täglich 18 Stunden auf die Tätigkeit vorbereitet. Frontalunterricht gäbe es nur in Ausnahmefällen, vielmehr müssen die meisten Themen selbst oder in Teams erarbeitet werden. Oft durch die Arbeit an kniffligen, teils unlösbaren, Problemen. Enorm viel Wert liege während der gesamten Ausbildung auf der Ausprägung von Soft-Skills: Teamarbeit, Kommunikationsfähigkeit, Problemlösen, schnelle Aneignung von Wissen. Zusammen mit den fachlichen Kompetenzen sind diese Fähigkeiten äußerst begehrt auf dem Arbeitsmarkt. Selbst ohne ein anschließendes Studium, erhalten Alumni der Eliteeinheit lukrative Job Angebote der High-Tech-Unternehmen.

Wieso aber schlägt eine beachtliche Zahl junger Israelis eine attraktive Festanstellung aus, um selbst zu gründen? Immer wieder wurde uns berichtet, dass die junge Geschichte und ständige Bedrohung ein riesiger Antrieb sei, selbst etwas aufzubauen und die eigenen Ideen zu realisieren. Die Rahmenbedingungen scheinen dafür ideal, es besteht ein ausgezeichnetes Start-Up-Ökosystem: unzählige Coworking-Spaces, Inkubatoren, Akzeleratoren, „Tech Scouts“ und Risikokapitalgeber sind auf verhältnismäßig engem Raum anzutreffen.

Staatliche Förderung – bottom-up

Einzigartig ist, wie Israel durch staatliche Förderung den Aufbau des Start-up-Ökosystems beschleunigt und internationale Risikokapitalgeber anzieht. Eine dieser Fördermaßnahmen ist das Yozma-Programm: Seit 1993 verspricht es nicht nur Steuervorteile für ausländische VC-Investments, sondern auch eine Verdoppelung der Investitionsbeträge mit öffentlichen Geldern – gegen entsprechende Anteile, versteht sich. Außerdem bietet das Programm eine Art Ausfallversicherung, die im schlimmsten Fall 80% der Verluste übernimmt. Im Erfolgsfall können die staatlichen Anteile zu einem reduziertem Preis von den Investoren zurückgekauft werden.

Für disruptive Ideen, die selbst den Risikokaptialgebern zu riskant erscheinen, besteht eine ebenso einzigartige Förderung: das „Technological Incubators Program“ der „Israel Innovation Authority“. So bestehen 24 Inkubatoren, die in Form einer Public-Private-Partnership betrieben werden. 85% der Finanzierungssumme für Start-Ups, meist zwischen 500.000 und 1.000.000 USD, kommen aus der Staatskasse – und zwar nicht im Gegenzug für Geschäftsanteilen, sondern als Darlehen. Die Zinsen sind gering und eine Rückzahlung wird erst fällig, sobald das geförderte Start-Up Umsätze erzeugt. Die verbleibenden 15% der Finanzierungssumme werden vom privatwirtschaftlichen Betreiber der Inkubatoren geleistet, diese erhalten dafür aber bis zu 50% der Geschäftsanteile. So besteht ein starker Anreiz, die Start-Ups optimal zu fördern und zu coachen, bei gleichzeitig begrenztem Risiko. Eine Auswahl der geförderten Start-Ups wird explizit „Bottom-up“ dem freien Markt und den Betreibern der Inkubatoren überlassen. Expertenausschüsse und Fachjurys? Sucht man vergeblich. „Wir möchten, dass bei maximal 35% unserer Investitionen Rückzahlungen fällig werden. Sonst sind wir zu wenig riskant aufgestellt.“ berichtet uns die Vertreterin der Innovation Authority und versetzt unsere Delegation damit in helle Aufregung. Unterm Strich habe der israelische Staat mit diesen Aufwendungen keine Verluste eingefahren. Und gleichzeitig die 5-6 fache an privatwirtschaftlicher Investitionen ins Land geholt. Respekt!

Bei dieser Innovationskraft, all den Geschäftspotentialen und der Fortschrittsgeschwindigkeit kämpft auch Israel mit Herausforderungen, die uns Deutschen wohlbekannt sind. Es herrscht praktisch Vollbeschäftigung, für High-Tech Berufe besteht ein eklatanter Fachkräftemangel. Der Wettbewerb um IT-Experten ist enorm und führt zu einem Einkommenswettbewerb, den insbesondere die multinationalen Konzerne anführen können. So ist die Gesellschaft nach wie vor mit einer Wohlstands- und Einkommenspolarisierung konfrontiert, in internationalen Vergleichen des Gini-Koefizienten mit anderen OECD-Ländern belegt Israel einen der hintersten Plätze. Helfen könnte dagegen neben Umverteilungsmaßnahmen insbesondere eine progressive Bildungspolitik. Derzeit genießen internationale High-Tech-Unternehmen und deren zum Teil ausländischen Mitarbeiter noch beachtliche Steuervorteile oder gar Befreiungen. Und über das Bildungssystem ist in den persönlichen Gesprächen wenig Begeisterung zu hören, obwohl das Bildungsniveau in Israel als das vierthöchste weltweit gilt. Immerhin ist in den Schulen der Einsatz Digitaler Technologien bereits selbstverständlich.

Die rund 30 Begegnungen an meinen 6 Tagen in Israel beeindrucken. Die Geschwindigkeit, die Technologien, die Innovationskraft, der Sachverstand. Attribute, für die vor einigen Jahren oder Jahrzehnte insbesondere „Made in Germany“ stand. Der direkte Vergleich stimmt nachdenklich und unterstreicht den Eindruck, den man bei der Beobachtung von deutscher Politik und Wirtschaft in ihren Digitalisierungsbemühungen erhält. Deshalb: Lasst uns Fahrt aufnehmen, den Austausch intensivieren – und voneinander lernen.

 

Disclaimer:
Durch meine Tätigkeit im Beirat Digitale Wirtschaft NRW durfte ich Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart auf seiner Delegationsreise nach Israel begleiten. Die Kosten für die Reise habe ich selbst getragen.